
Was war passiert, dass man heute noch dessen gedenkt? Dass die fleissigsten Arbeiterameisen ihr Werkzeug niederlegen, gegen Tonkrüge tauschen und in nicht endenden Chorälen dem letzten historischen Ecksteinchen der Heimatstadt huldigen!? - Es war ein Kriegsherr, dessen Kriegsheer einst brandschatzend und vergewaltigend durch Europa zog. Und der -Gott und dem Schicksal sei Dank- auch für eine Woche in unserer verschlafenen Kleinstadt Halt machte, um zu pausieren von seinen grossen historischen Taten-die fanden alle woanders statt..
Jedoch war es ein grosser Glücksmoment, als sich die Stadtväter erst vor wenigen Jahrzehnten wieder an diesen kurzen Aufenthalt erinnerten! Man beschloss, diese Heerespause zum historischen Ereignis zu stilisieren und so wieder etwas kulturellen Wind durch die Stadt und damit so manchen bislang völlig desinteressierten Touristen in die Stadt wehen zu lassen. Doch wie kleidet man dieses doch tendenziell so unbedeutende Ereignis in ein gebührendes Gewand? Flugs setzten sich fleissige NäherInnen zusammen, und schneiderten fleissigst mittelalterlich anmutende Kleider für einen grossen Teil der Stadtbewohner, die die farbenfrohe Neueinkleidung dankbar annahmen, ging hier doch selbst die ausgelassene Karnevalszeit bislang spurlos am Volke vorüber. So wurde auch nicht lange hinterfragt. Stattdessen liessen sich Männlein lange Bärte wachsen und Weiblein sich zur Magd oder gar zur Hexe degradieren, lernten einen tumben Trommelrhythmus oder die passend tumbe Flötenmelodei dazu, um sich dann eine Woche aus der Gegenwart zu verabschieden und endlich einmal auch etwas von wirklicher Bedeutung zu tun: Ein Zahnrädchen beim grössten Mittelalterfestival des Landes zu sein.
So trommeln sie nun. Und flöten. Und singen. Beim grossen Eröffnungs-Umzug mit den grossen Kanonen, die dann die ganze Woche über als grosse Attraktion dienen und mit heftigem Knallen wieder und wieder gezündet werden. Sie singen während der kulturellen Grossdemonstrationen, aber auch danach, wenn sich die Meute in kleine Grüppchen splittert und in den hiesigen Biergärten niederlässt. Um zu trommeln, zu flöten, und zu singen. Das alles endlich einmal, ohne Gefahr zu laufen, ab 22 Uhr von Ordnungshütern in die Schranken gewiesen zu werden. Denn diesmal geht es um das Grosse Ganze! Nicht nur in ihren Biwaks, nein, in jedem Winkel der Stadt. Überall wird getrommelt, geflötet und gesungen, werden Feuerstellen entzündet - und ganz entsprechend dem mittelalterlichen Vorbild wäre es nur lächerlich, wenn hier irgendjemand am urigen Treiben, dem Lärm und der Rauchbelastung auch nur geringsten Anstoss nehmen würde. Zurecht würde man ihn einen Verräter heissen! Solche ignoranten Spalter sollten genauso behandelt werden wie all die ansässigen Händler, die für das schillernde Ereignis werben, indem sie ganz spezielle Produkte herstellen, dann aber rechtlich verfolgt werden, weil sie -ganz der Tradition verpflichtet- keine Sondergenehmigung beim örtlichen Festival-Dachverband eingeholt hatten.
Nundenn, es handelt sich lediglich um eine verlängerte Woche. Eine verlängerte Woche alle vier Jahre, die dem engangierten Volk Brot und Spiele bereitet. Bedeutung schenkt. Und mit dem fulminanten Abschiedsumzug, der exakt dem grossen Eröffnungsumzug entspricht, ja auch wieder ihr Ende findet. Länger wäre das Festival auch kaum organisierbar - sichtlich gezeichnet von einer Woche Dauerbesäufnis ziehen mehrere tausend Einwohner inklusive imponierender Kanonen an unzähligen zehn-, wenn nicht hunderttausenden Touristen vorüber und lassen sich für ihr aufopferungsvolles Dauerbetrinken, -trommeln, -flöten und -singen beklatschen.
Am nächsten Tag ist dann auch alles wieder vorbei. Die Ameisen legen die Tonkrüge beiseite, nehmen wieder ihr Handwerkszeug in die Hand, mit dem sie brav ihr gewohntes Tagwerk verrichten. Vier Jahre lang.
Entweder bis zum Plumps des Steines, der mir vom Herzen fällt-sollte dieser nämlich nach 22 Uhr stattfinden, hab ich mich dem Vorwurf der Ordnungswidrigkeit und Ruhestörung zu stellen.
Oder bis zum nächsten Kanonenschlag in vier Jahren. Wenn die Uhren wieder ein paar hundert Jahre zurückgestellt werden, die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und ihr letztes wirklich bedeutungsvolles Ereignis zelebriert: Als ein Kriegsherr mit seinem Kriegsheer hier Pause machte.
von Mike Mammo
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